Wahlprüfsteine für das Autonome Frauenzentrum Potsdam

Wahlprüfsteine für das Autonome Frauenzentrum Potsdam (vom 11. Juni 2018)

1. Integration / Inklusion – Welche Konzepte haben Sie für die Integration unterschiedlicher Migrantinnengenerationen? – Was verbinden Sie mit Inklusion und wie wollen Sie diese in Potsdam voranbringen?

Wir haben in unserer Stadt ein Integrationskonzept mit 77 Zielen und 137 Maßnahmevorschlägen in 6 Handlungsfeldern erarbeitet. Das beschreibt viele Lösungsmöglichkeiten. Unter anderem auch, dass Migrantinnen, die in den 70er Jahren in die DDR kamen und seit vielen Jahren hier leben, andere Bedürfnisse als die haben, die seit den 90ern hier leben und diese wieder andere als die Flüchtlinge, die in den vergangenen Jahren in die Stadt kamen. Vor allem für letztere, aber auch für andere sind die Stadtteilmütter, das Projekt, was dem Autonomen Frauenzentrum so sehr am Herzen liegt, eine spannende Antwort. Das zeigen Erfahrungen zum Beispiel in Berlin. Es bietet Chancen in verschiedener Hinsicht: Für die Menschen, die dort abgeholt und unterstützt werden, wo sie sind, oft fremd und neu im Wohnumfeld. Für die Stadtgesellschaft, denn es gibt einen Mittler, der beide Welten kennt. Und nicht zuletzt für die „Stadtteilmütter“ selbst. Denn sie können ihre sehr spezifischen Kompetenzen der Multikulturalität bestmöglich einbringen. Deshalb unterstütze ich das Projekt.

Integration ist ein langer und kontinuierlicher Prozess und betrifft alle Menschen, die in Potsdam leben. Die Neuankommenden begegnen den bereits hier Lebenden und gestalten das Leben im Alltag, im Wohnumfeld oder am Arbeitsplatz gemeinsam. Vor Ort, in der Kommune. Das Konzept kann nur ein Rahmen sein, Integration lebt von den Menschen, die agieren.
Inklusion heißt Teilhabe für Alle, eine Vision der Landeshauptstadt Potsdam! Jeder Mensch, egal ob mit oder ohne Behinderung hat ein Recht, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Damit das in Potsdam gelingt haben wir den Teilhabeplan 2.0 und das Inklusionsgremium, damit der Prozess gesteuert und begleitet wird.

2. Arbeit/Beruf – Meinen Sie, dass die Qualifizierungsangebote für arbeitssuchende Frauen im Jobcenter Potsdam ausreichend sind und wie gewährleisten Sie die faire Bezahlung der Referentinnen?

Qualifizierungsangebote müssen bedarfsgerecht sein, deshalb wird die Stadt dafür sorgen, dass die IHK und die HK sich stärker in die Frage einbringen, welche Qualifizierungsangebote zu einem Job führen. Jede Frau mit einem neuen Job bedeutet eine Familie mehr außerhalb der Armutsgrenze. Ich möchte gemeinsam mit den Partnern der Arbeitsvermittlung und der Kammern genauer hinschauen, dass in Zeiten von steigendem Fachkräftemangel gezielt Frauen und Mädchen angesprochen werden für Berufe, die nicht erste Frauenwahl sind, und ihre Vorteile und Chancen kommunizieren.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, für die Wirtschaftsförderung der LHP speziell Gründerinnen und Unternehmerinnen als Wirtschaftsfaktor sichtbar zu machen?

Für die Wirtschaftsförderung der LHP sind Gründerinnen und Unternehmerinnen natürlich als Wirtschaftsfaktor sichtbar und werden gezielt gefördert. Ich sehe nicht, dass hier Abstufungen im Vergleich zu männlichen Gründern gemacht werden. Aber: Frauen sind für Frauen Vorbilder, diesen Faktor möchte ich stärken. So kann in der Wirtschaftsförderung hier eine Frau verantwortlich entsprechende Programme begleiten und einen Gründerinnenstammtisch, Fortbildungen, Informationen kommunizieren. Frauen wie die Mikrobiologin Dagmar Köhler-Repp, die mit Ihrer Firma Ripac in Golm Spitzenleistungen im Bereich veterinärmedizinische Infektionsdiagnostik erbringt sind in Potsdam leider nur Insidern bekannt, obwohl hier Weltklasse geleistet wird.

3. Stadt als Arbeitgeberin – Welche Möglichkeiten sehen Sie in der Stadt Potsdam, gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit durchzusetzen und prekäre Beschäftigungsverhältnisse abzubauen?

Zunächst müssen die Arbeitsfelder identifiziert werden, in denen Lohnungleichheit für Mann und Frau besteht. Dann sind diese abzubauen. Hier soll sich die Stadt auch für ihre Gesellschaften verantwortlich fühlen. Ein Jahresbericht über Fortschritte soll andere Arbeitgeber in unserer Stadt zu gleichem Vorgehen ermuntern. Das gleiche gilt für prekäre Beschäftigungen. Gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit ist auch immer eine Frage der Stellenbesetzung. Das heißt, wenn mehr niedriger dotierte Positionen von Frauen besetzt sind als von Männern, ist ‚ungleiche Bezahlung‘ vorprogrammiert und der Satz „Männer verdienen mehr als Frauen“ behält dadurch seine Gültigkeit. In dem jetzt anstehenden Generationenwechsel in der Stadtverwaltung will ich das streng im Blick behalten: Bis 2025 werden im Rathaus etwa 400 Mitarbeitende das Renteneintrittsalter erreichen. Das gilt auch für die Führungskräfte. Im Geschäftsbereich Soziales, Jugend, Gesundheit und Ordnung sind zum Beispiel alle Fachbereichsleitenden 60 Jahre oder älter. Ich möchte die Übergänge so gestalten, dass Erfahrungswissen gesichert wird und mit modernen Führungsinstrumenten verbunden. Darüber hinaus habe ich zwei Ziele. Ich möchte den Anteil an Frauen auf den Führungsebenen erhöhen. Derzeit sind nur 6 von 18 Fachbereichsleitungen mit Frauen besetzt. Und ich möchte, dass in Brandenburg ausgebildete Fachfrauen und Männer mehr Chancen in der Stadtverwaltung bekommen. Es ist eine Frage von Werbung und Verwaltungskultur, dass klar wird, in der Landeshauptstadt setzen sie auf hier Ausgebildete.

Wie gehen Sie die interkulturelle Öffnung in der Verwaltung und den städtischen Betrieben an?

Meines Erachtens existiert keine interkulturelle Schließung in Potsdam. Aber sehr wohl möchte ich unter Beteiligung Betroffener für eine weitere Diversifizierung sorgen. Das können Gebetsräume, aber auch regelmäßige Schulungen der Mitarbeitenden in interkulturellen Themen sein. Der verwaltungsinterne Sprachmittlerpool, den wir seit 2016 haben, ist auch ein kleines, aber schönes Beispiel: Hier sind auf freiwilliger Basis alle Kolleginnen und Kollegen erfasst, die eine Sprache so beherrschen, dass sie bei eingehenden Mails oder Gesprächen kollegial und schnell helfen können, natürlich ohne Dolmetscherdienste zu ersetzen. 16 Sprachen sind dabei, Vietnamesisch, Farsi, Russisch sind nur Beispiele. Auch die Anonymisierung von Bewerbungen kann dazu gehören.

4. Interreligion – An welcher Stelle setzen Sie sich für einen interreligiösen Austausch ein? – Trotz aller Bemühungen gibt es keinen Raum für muslimische Frauen ihre Religion auszuüben und in den Austausch zu gehen – Was werden Sie dagegen tun?

Ich pflege die Kontakte durch persönliche Anwesenheit und Besuche der verschiedenen Religionen, deren Veranstaltungen und Räumlichkeiten. Dort trete ich in den Dialog, da sehe ich auch die Vorbildfunktion für die Potsdamerinnen und Potsdamer. Auch jetzt wird im Bereich Oberbürgermeister der interreligiöse Dialog dezidiert gepflegt, das unterstütze ich. Für den neuen Standort der Moschee habe ich mich persönlich eingesetzt. Was die gemeinschaftliche Religionsausübung der Musliminnen angeht, habe wir gegenüber dem Iman auch nach der Eröffnung noch einmal deutlich gemacht, dass wir erwarten, dass auch muslimische Frauen in den verschiedenen Räumen der Gemeinde ihre Religion ausüben können. Auch als Vermieter können wir das aber nicht vorschreiben. Aber wir können sehr wohl bei jeder Gelegenheit deutlich machen wie unsere Erwartungshaltung ist. Und das werde ich auch weiter tun.

5. Wohnen/Bauen/Stadtentwicklung – Wie wollen Sie finanzierbaren Wohnraum insbesondere für Alleinerziehende, Rentnerinnen und Studentinnen mit geringem Einkommen und für Frauen in Notsituation zukunftssicher zur Verfügung stellen?

Die stadteigenen Gesellschaften haben schon jetzt entsprechende Möglichkeiten über belegungsgebundenen Wohnraum. Bei Neubauten setze ich mich für eine Quote für sozialen Wohnungsbau in Höhe von 30 Prozent ein. Wir werden Zufluchtsorte und Notunterkünfte institutionell fördern, die Förderrichtlinie wird gerade überarbeitet. Denn es kann und darf nicht sein, dass der Gesetzgeber die Unterbringung von Fundtieren als pflichtige Aufgabe der Stadt vorschreibt, uns aber freistellt ob wir für schutzbedürftige Frauen einen Zufluchtsort bereithalten. Das ist nicht nur anachronistisch, sondern falsch.

Ansonsten gilt auch hier, dass Wachstum allein noch keine Strategie für sozialen Wohnungsbau ist. Eine Strategie für den sozialen Wohnungsbau muss an mehreren Punkten ansetzen. Mir sind dabei wichtig: Neue Bauflächen in städtischer Hand erschließen (Stichwort Parkplätze, unten parken, oben wohnen), verträgliche Baukosten (durch Nutzen von Typenbauten für Grundrisse), schon vorhandene Infrastruktur nutzen (behutsames Verdichten), städtische Randflächen an die Wohnbaugesellschaften übertragen, Konzeptvergaben statt Höchstgebote, Potsdamer Baulandrichtlinie für den sozialen Wohnungsbau anwenden, Fördermittel von Land und Bund einwerben.

Welche sind für Sie die spezifischen Bedürfnisse von Mädchen und Frauen bezogen auf das Wohnen, Bauen und die Stadtentwicklung in der LHP und wie kann die Beteiligung von Frauen in diesen Fragen gestärkt werden?

Spezifische Bedürfnisse sind zum Beispiel Sicherheit in der Wohnung und auf dem Weg zur Wohnung und überhaupt in der Stadt. Keine dunklen Straßenräume, sichere Wege, kurze Wege zu den sozialen Einrichtungen und eine gute Kiezstruktur, die schnelle Orientierung und gute Mitmachangebote gewährleistet. Das ist auch für Männer wichtig.

Beteiligung kann gestärkt werden, indem mehr Frauen in der Politik mitwirken und ihre Sicht auf die Dinge in den jeweiligen Ausschüssen und Beratungen einfließen lassen. Fraktionsübergreifende Anträge der Fraktionärinnen sind dort gute Beispiele. Beteiligung von Mädchen und Frauen erreiche ich zum Beispiel auch über Stadtteilmütter als Ansprechpartnerinnen, die ihre Ideen und Anregungen an die Stadtverwaltung zurück koppeln.

6. Generationengerechtigkeit – Welche Maßnahmen bringen Sie zur Bekämpfung von Altersarmut mit?

Altersarmut lässt sich nur begrenzt auf kommunaler Ebene bekämpfen. Wir haben die Grundsicherung im Alter, und unterstützen kommunal mit der Stiftung Altenhilfe. Altersarmut kann man für die Zukunft bekämpfen, indem man dafür sorgt, dass schon von Geburt an in Bildung investiert wird, durch Begleitung der Eltern, Kita, Schule.

Darüber hinaus fördert die Stadt Einrichtungen wie die Tafel, die die Armut mildern. Die Stadt bietet für bestimmte Einkommen bezahlbaren Wohnraum an. Der Sozialpass ermöglicht die kostenreduzierte Teilnahme an städtischen Kultur und Sportevents.

Wie sind Ihre Ideen zur Verbesserung der Situation von Fachkräften in Kita, Hort und Schule und in der Weiterbildung?

Wir bringen uns als Stadt ein, wo wir können: Wir haben uns als erste die Finanzierung der dritten Betreuungsstufe für Kitapersonal auf die Fahne geschrieben. Notgedrungen, denn das Land hat leider auch mit der Novellierung des Kitagesetzes wieder nicht die Notwendigkeit gesehen, mehr als 7,5 h Betreuung in den Kitas zu bezahlen – noch nicht. Denn dass Vollzeitarbeit und selbst Teilzeit sich mit 7,5 h oft genug nicht realisieren lassen, wissen Sie alle. Und wir sind dabei, an jeder Schule in Potsdam Schulsozialarbeiter einzustellen. Das entlastet wieder die Lehrerinnen und Lehrer und auch die Hortnerinnen. Auch in der Weiterbildung wollen wir gerechter bezahlen, Stichwort VHS. Der Prozess ist hier noch nicht abgeschlossen, denn es geht letztlich um nichts geringeres als einen Systemwechsel: Vom historischen Zuverdienst eines pensionierten Lehrers zur quasi festangestellten Dozentin; zumindest für einige Kursbereiche. Dass hier alte Modelle nicht mehr wirklich greifen, ist verständlich. Das Problem ist erkannt. Die Kommune allein wird das aber nicht lösen können.

7. Finanzen – Was verstehen Sie unter einer geschlechtergerechten Mittelverteilung im städtischen Haushalt? Wie ist Ihre Position dazu? – Die finanzielle Förderung der Projekte des Frauenzentrums Potsdam sind 100% freiwillige Leistungen. Wenn Sie Oberbürgermeister*in werden, wie setzen Sie sich für den Erhalt und die Weiterentwicklung der Projekte ein?

Der städtische Haushalt könnte im Rahmen des Leitbildprozesses ein Gender Budgeting erhalten, beginnend mit einem Pilotprojekt. Besonders wichtig ist mir, dass nicht nur die Wirkung evaluiert wird, sondern auch mit der Evaluierung feststeht, wie Maßnahmen aussehen werden, sollte sich hier im Ergebnis ein Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern herausstellen. Bei Ausgaben und Einnahmen wäre die Frage zu beantworten, wie diese auf Frauen und Männer wirken. Diese Idee würde ich mit der Projektgruppe diskutieren und ihre Fachmeinung einholen.

Dass das Autonome Frauenzentrum keine pflichtige Leistung der Kommune ist, kann durch Beschluss der Stadtverordnetenversammlung leider nicht verändert werden. Aber ich kann als Oberbürgermeister dafür einstehen, dass ich für jedes gute Konzept des AFZ ein offenes Ohr habe. Konzept bedeutet inhaltliche Idee, Finanzierungsplan und Evaluierung des Projektes, um zu sehen, ob die versprochene Wirkung auch erreicht wurde. Generell ist unser Ziel, mehrjährige Zuwendungen im Bereich der freiwilligen Leistungen zu erreichen. Denn die Ungewissheit, nie genau zu wissen, ob und wann die neue Zuwendung kommt, ist für etablierte Einrichtungen, die seit Jahren verlässliche und wertvolle Arbeit leisten und trotzdem keine anderen langfristigen Mittelzuflüsse haben, schwer. Es bedeutet immer wieder Ungewissheit. Auch das wäre ein Systemwechsel, der an Rahmenbedingungen wie Zielvereinbarungen etc. geknüpft sein muss. Aber er wäre es wert, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern.

8. Frauen und Mädchen – Halten Sie die Hilfs- und Beratungsangebote für Frauen und Mädchen in der Landeshauptstadt für ausreichend und dauerhaft finanziert? – Was unternehmen Sie dafür, dass herausragende Frauen der Landeshauptstadt bei Ehrungen angemessen berücksichtigt werden?

Mehr geht sicher immer, aber wir haben ein gut ausgebautes Netz an Beratungsangeboten. Viele Angebote haben sich verstätigt und werden auch dauerhaft finanziert. Trotzdem ist Spielraum bei guter Haushaltslage für neue Angebote, die sich aus den Bedarfen der Frauen und Mädchen ergeben. Unter anderem, in dem ich auf die Stimmen der Frauen höre. Ein Beispiel ist unsere Ehrenbürgerin in diesem Jahr. Auch bei Straßenbenennungen achten wir verstärkt auf Frauennamen. Ein gutes Vorbild ist der Verleihung des Hexenbesens durch das AFZ. Seit 1994 wird er am Abend der Walpurgisnacht überreicht an „starke, mutige Frauen“ – das ist prima!