Wahlprüfsteine Potsdamer Mitte neu denken (vom 20. Juli 2018)
1. Nachhaltige Stadtentwicklung
Das erwartete Bevölkerungswachstum stellt Potsdam in den nächsten Jahren vor große Herausforderungen.
Eine nachhaltige Stadtentwicklungspolitik muss versuchen, diesen Wachstumsprozess zu steuern, indem ökologische, wirtschaftliche und soziale Teillösungen zu einer Gesamtstrategie verbunden werden.
Welchen Beitrag kann ein*e Oberbürgermeister*in diesem Prozess leisten und welche Akzente wollen Sie setzen?
Als erstes muss sich ein Oberbürgermeister bewusst sein: Potsdam ist Teil einer einzigartigen Kulturlandschaft. Das setzt uns Grenzen, die wir respektieren sollten, um das Flair unserer Stadt nicht zu verspielen.
Potsdam verliert, was unsere Stadt einzigartig macht, die Verbindung von Wohn- und Arbeitsstadt, Natur, Kulturlandschaft und Welterbe, wenn wir jede verfügbare Fläche bebauen.
Als zweites heißt es, genau hinzusehen, wer vom Wachstum profitiert, wer für das Wachstum bezahlt und welche Hypothek – materiell, aber auch kultur- und umweltpolitisch – wir künftigen Generationen hinterlassen.
Ich will, dass nicht Investoren das Tempo bestimmen, sondern dass wir, die Bürgerinnen und Bürger der Stadt und die Politik, Takt und Tempo des Wachstums bestimmen.
Wenn wir den Gesetzen des Marktes folgen würden und durch Bauen allein die Nachfrage befriedigen wollen, dann müssten wir jedes Stück Grün, jede im B-Plan stehende Wald- oder Grünfläche in Wohnungsbauland umwandeln. Wir brauchen keine marktgerechte Baupolitik, sondern eine bedarfsgerechte Wohnungsbaupolitik.
Deshalb nehme ich Wachstum nicht als naturgegeben, sondern werde es bewusst gestalten. Ich will einen Wachstumskonsens für Potsdam. Was heißt das konkret? Gemeinsam mit der aktiven Bürgerschaft und unseren Wissenschaftseinrichtungen und Unternehmen will ich für das Stadtentwicklungskonzept „Potsdam 2030“ einen Wachstumskonsens und Leitplanken erarbeiten, auf dessen Einhaltung wir gemeinsam vertrauen können.
2. Fehlentwicklungen
Die Stadt Potsdam hat in den letzten Jahrzehnten eine gute Entwicklung genommen. Dennoch sind Probleme nicht zu übersehen, die auf Versäumnisse und Fehlentwicklungen zurückzuführen sind.
Welche Versäumnisse und Fehlentwicklungen würden Sie gern korrigieren?
Ich nenne drei:
Potsdam hat zu wenig bezahlbare Wohnungen. Das ist ein Fehler, den ich gern korrigieren würde. Potsdam ist gewachsen, kräftig, aber zu wenig um Wohnungen, die für Leute mit einfachem Einkommen erschwinglich sind. Viele Potsdamer, die in den letzten Jahren eine neue Wohnung suchten, haben das persönlich gespürt. Auch deswegen finde ich: Das Land muss die gesamte Stadt zum Fördergebiet für den öffentlich-geförderten Wohnraum erklären, um eine Durchmischung aller Stadtteile mit unterschiedlichen Wohnformen zu ermöglichen.
Wir haben die soziale Infrastruktur in den stark wachsenden Stadt- und Ortsteilen nicht konsequent genug bauen lassen oder selbst gebaut. Schulen, Kindergärten, Jugend- und Seniorenclubs, das, was ein Quartier lebenswert macht und auch kurze Wege schafft, muss prioritär sein bei Bauvorhaben.
Und wir haben beim ÖPNV und da auch bei der Abstimmung mit unseren Nachbarn manches versäumt. Stichwort Zeppelinstraße: Bevor die Verkehrsverbindungen besser wurden, gab es die Pförtnerampel. Ohne dass die Busspuren fertig sind, haben wir die Verkehrsführung auf der Straße verändert. In Geltow und Werder empfand man das als Affront, und dass muss man ernst nehmen. Und auch mal mutiger sein. Ich erinnere an ‚meine‘ Regio-Stadtbahn, die Zweisystemtechnik Straßenbahn/ Züge der Deutschen Bahn. Vor 5 Jahren politisch wieder in die Diskussion gebracht, wohlmeinend besprochen, aber nie ernsthaft verfolgt. Wir müssen, wenn wir einen Verkehrskollaps vermeiden wollen, wirklich konsequenter sein.
3. Beteiligung der Bürger*innen
Die Landeshauptstadt Potsdam hat in den vergangenen Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, Bürger*innen an der Entwicklung der Stadt zu beteiligen. Jedoch wurde mehrfach die Kritik geäußert, dass die Beteiligungsverfahren so vorstrukturiert waren, dass sie Mitwirkung an Entscheidungen simulierten, aber im Kern nicht tatsächlich gestatteten. Bei einigen kontroversen Themen, wie z. B. der Entwicklung der Potsdamer Mitte wurde aktive Beteiligung sogar verhindert.
Bei welchen Themen werden Sie Beteiligung initiieren?
Wie soll Ihrer Meinung nach der Beteiligungsprozess gestaltet werden, so dass Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger an den Entscheidungen der Kommune gelingen kann?
Welche Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung sehen Sie bei den Planungen zum Entwicklungsgebiet Krampnitz, um neben der baulichen Nachverdichtung und Erweiterung auch Wohnungen mit bezahlbaren Mietpreisen und ein soziales Leben in Vielfalt zu ermöglichen?
Ergebnisse von kommunalen Entscheidungen spüren die Bürgerinnen und Bürger sofort und sehr unmittelbar. Diese direkte Nähe begeistert mich schon immer an Stadtpolitik. Das gilt für Praxis und Theorie. Im Frühjahr 2004 habe ich angeregt von meinem Studium den Antrag „Bürgerkommune Potsdam“ in der Stadtverordnetenversammlung gestellt. Es ging mir um mehr Dialog und Mitwirkung zwischen den Bürgerinnen und Bürgern, der Verwaltung und der Stadtpolitik.
Das Ziel, Möglichkeiten zur Mitwirkung bei der Gestaltung der Stadt, der Stadtteile und bei finanziellen Prioritäten zu geben, eine bürgerorientierte Verwaltung zu schaffen und eine Anerkennungskultur für ehrenamtliche Arbeit von der Feuerwehr bis zum Bürgerverein zu etablieren, sind heute noch genauso aktuell. Hier will ich als Oberbürgermeister wieder anknüpfen und in Zusammenarbeit mit unserem Büro für Beteiligung, der Universität Potsdam und der Fachhochschule neue Ideen entwickeln. Dies gilt vor allem für Formen der digitalen Beteiligung und der direkten Mitentscheidung in den Stadt- und Ortsteilen.
Für Grundsatzfragen der Stadtentwicklung schlage ich vor, die Beteiligungssatzung um ein gemeinsam vereinbartes Verfahren zu ergänzen, damit gegenseitige Vorwürfe wie bei der Abstimmung zur Potsdamer Mitte oder zum Schwimmbad minimiert werden können.
Das Forum Krampnitz, das ja schon arbeitet und vom Entwicklungsträger koordiniert wird, ist eine erste konkrete Form der Bürgerbeteiligung, die wegen einer beteiligungsorientierten Entwicklung des neuen Stadtteils geschaffen wurde. Ausdrücklich bevor die erste Bürgerin oder der erste Bürger dort einzieht. Soziales Leben in Vielfalt und alle Möglichkeiten, die das Entwicklungsrecht bietet, sind erklärte Ziele für Krampnitz, das ist mir wichtig. Im Rahmen der Entwicklungsmaßnahme werden klare Vorgaben für den sozialen Wohnungsbau kommen, Konzeptvergaben bevorzugt und soziale und kulturelle Infrastruktur von Beginn an mitgeplant. Das vom DRK vorgestellte und für Kramnitz gewünschte Projekt Demenzdorf nach dem Vorbild des holländischen „De Hogeweyk“ findet meine volle Unterstützung gerade weil es für ein soziales Leben in Vielfalt steht und ‚eine Stadt für alle‘ praktizieren möchte.
4. Stärkung der Stadtteile ‐ funktionale und soziale Mischung
Die Lebensqualität für die Bewohner einer Stadt hängt in hohem Maße davon ab, wie die Funktionen Wohnen, Arbeiten, Versorgung und Erholung räumlich und sozial verteilt sind. Leitbilder nachhaltiger Stadtentwicklung wie Dichte und Mischung können für politische Entscheidungen Orientierungen vorgeben.
Mit welchen Maßnahmen wollen Sie die funktionale und die soziale Mischung der Stadtteile fördern?
Wie wollen Sie der sozialen Segregation und funktionalen Trennung entgegenwirken?
Was werden Sie zur Stärkung der Stadtteile und ihrer Zentren tun?
In den vergangenen 20 Jahren haben sich die Stadt, die Bevölkerung und auch die Bedürfnisse gewandelt. Heute stehen vor allem lebendige, unverwechselbare Stadt- und Ortsteile mit einer guten, wohnortnahen Infrastruktur und die Beteiligung an Entscheidungsprozessen im Fokus. Diese Bedürfnisse der Potsdamerinnen und Potsdamer müssen im Mittelpunkt stehen und mit dem Wachstumstempo der Stadt in Einklang gebracht werden. Es geht um den gerechten Ausgleich von Interessen. Meine Leitidee für Potsdam ist, dass alle in der gewachsenen und weiterwachsenden Stadt ihren Platz finden.
Das gilt für alle Stadtteile. Weder in Potsdam noch in einer anderen Stadt ist der Wohnungsmarkt von sich aus sozial gerecht. Wir müssen als Stadt korrigieren, damit es sozial gerechter wird. Wir brauchen sozialen Wohnungsbau, der durch den Bund und das Land Brandenburg gefördert wird. Wir müssen weiter zielgerichtet Wohnraum mit Mietpreis- und Belegungsbindungen als Stadt an uns binden. Bei den Sätzen für die Kosten der Unterkunft prüfen wir eine Differenzierung nach Stadtteilen, was sicher zu einer besseren Verteilung verschiedener Einkommensgruppen in der Stadt führen würde. Unser Ziel muss es sein, für die Menschen, die sich die marktüblichen Mieten in Potsdam nicht leisten können, Mieten auf einem bezahlbaren Niveau zu stabilisieren.
Die soziale Durchmischung von Quartieren lässt sich durch Vorgaben gegenüber Investoren steuern. 30 Prozent sozialer Wohnungsbau gehören zu jedem Bauvorhaben für Geschosswohnungsbau. Dazu gehört aber auch eine stärkere Fokussierung auf Konzeptvergaben mit Projekten, die Quartiere prägen können und wollen.
Und Gewerbeflächen sind keine Wohnungsbauflächen zweiter Klasse, sondern sind entsprechend ihrer Funktion vorzuhalten und zu entwickeln – auch wenn das einen langen Atem und Durchhaltevermögen gegenüber Wohnungsbauinvestoren erfordert.
Nicht zuletzt ist es für die Attraktivität von Stadtteilen und Quartieren entscheidend, eine bedarfsgerechte soziale Infrastruktur vorzuhalten. Durch eine integrierte Kita-, Schul- und Hortplanung sollen ab 2019 die Bedarfe besser aufeinander abgestimmt werden. Durch ein gemeinsames Investitionsprogramm von Trägern und Stadt möchte ich bis spätestens zum Kitajahr 2019/2020 dafür sorgen, dass wir den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz wieder jederzeit erfüllen können.
Das Gefühl von der „Schlafstadt Bornstedt“ zeigt exemplarisch, warum ich dafür werbe, dass wir städtisches Wachstum und soziale Infrastruktur wieder in ein Gleichgewicht bringen. Denn die Probleme in Bornstedt sind zu Teil auch hausgemacht. Es wurde Wohnraum geschaffen. Die sozialen Einrichtungen wie Bürgertreffs, Jugendklubs, Sport- und Kulturflächen sind aber nicht in ausreichendem Umfang vorhanden. Deshalb gilt es hier zügig zu handeln.
Und wir müssen unsere Lehren ziehen. Bei künftigen Planungen wie zum Beispiel in Krampnitz darf sich der Fehler nicht wiederholen, das sagte ich in Antwort auf Frage 3 schon. Mit dem Wachstum von Potsdam nimmt auch die Bedeutung der Orts- und Stadtteile für die Identität der Menschen zu. Deswegen muss auch die Stadtpolitik darauf reagieren. Die Koordination von Ortsteil- und Stadtteilarbeit gehört als Querschnittsaufgabe in das Büro des Oberbürgermeisters . Mit den Ortsbeiräten, Ortsvorstehenden und den Stadtteilräten werde ich partnerschaftlich zusammenarbeiten.
5. Stadtwachstum und Flächennutzung
Städte sind Territorien, die eine räumliche Dichte baulicher, funktionaler und soziokultureller Strukturen aufweisen und an ihren Rändern in den ländlichen Raum hinauswachsen. Innerhalb der Stadtgrenzen bieten sie den Bewohner*innen Räume, die der öffentlichen, gemeinschaftlichen und privaten Nutzung offenstehen.
Welche Prioritäten sollte Ihrer Auffassung nach die Landeshauptstadt Potsdam setzen, um bei dem durch künftiges Wachstum verursachten Flächenverbrauch ein ausgewogenes Verhältnis von innerstädtischer Verdichtung und weiterer Zersiedelung des vom Freiraum geprägten Umlandes zu wahren? Welche Maßnahmen sind zu ergreifen, um ihre Prioritätengewichtung umzusetzen?
Welche Prioritäten sollte Ihrer Auffassung nach die Landeshauptstadt Potsdam setzen, um zu garantieren, dass der weitere Stadtausbau nicht zu Lasten der öffentlich genutzten Flächen geht (z. B. Parks, Waldgebiete, Gartenanlagen, Seen und Gewässer, Uferbegrenzungen)?
Welche Maßnahmen sollte die Stadt ergreifen, um für die Einwohner*innen den Zugang zu öffentlichen Räumen für Kultur, Sport und Erholung zu erhalten und auszuweiten?
Wachstum ist kein Selbstzweck und kann nicht ungesteuert erfolgen. Nicht umsonst gibt es Instrumente der Stadt- und Landesplanung, um ökologische und soziale Auswirkungen abzuwägen. Potsdam soll so behutsam wachsen, dass wir die sozialen und infrastrukturellen Herausforderungen des Wachstums lösen können und Freiräume in der Stadt erhalten bleiben.
Die Bauleitplanung muss in Zukunft Klimaschutzziele noch stärker berücksichtigen, um Naherholungsräumen und grünen Lungen entsprechende Bedeutung einzuräumen. Auch der Schutz von Kleingartenanlagen beispielsweise steht für mich außer Frage.
Denn nicht unterschätzen dürfen wir die Auswirkungen der Wachstumsdynamik auf die städtische Identität. Die Bevölkerungsprognose geht aktuell davon aus, dass im Jahr 2035 in Potsdam 200.000 Menschen wohnen. Das sind noch einmal 23.000 mehr als jetzt. Was das bedeutet und welche Schlüsse wir für die Stadtpolitik daraus ziehen, darüber möchte ich als Oberbürgermeister mit den Potsdamerinnen und Potsdamern in eine ergebnisoffene Debatte über das Tempo des Wachstums treten. Ich strebe einen Wachstumskonsens mit den Potsdamerinnen und Potsdamern an.
Mir liegt außerdem besonders die Umsetzung des Aktionsplans kinderfreundliche Kommune am Herzen, mit dem wir Mitwirkungsmöglichkeiten für Kinder- und Jugendliche deutlich ausbauen wollen. Eine am Bedarf in den Stadt- und Ortsteilen ausgerichtete Ausstattung mit Jugendclubs sowie generationenübergreifenden Angeboten, die Jugendarbeit zum Beispiel mit Angeboten für ältere Generationen in Bürgerhäusern und -treffs unter einem Dach verbindet. Dazu gehören auch der Erhalt und die Unterstützung von Angeboten wie dem Freiland. Ein wichtiger Anker in der Jugendarbeit sind für mich die Sportvereine und Jugendabteilungen der Hilfsorganisationen und freiwilligen Feuerwehren. Deshalb will ich zum Beispiel auch künftig die kostenfrei nutzbaren Sportflächen für den Vereinssport erhalten.
Eine soziale Frage ist auch der Zugang zu Kultur. Und das ist keine Innenstadt-Funktion allein, sondern eine Herausforderung auch für Stadt- und Ortsteile. Projekte wie die Zusammenarbeit der Kammerakademie mit der Stadtteilschule in Drewitz schaffen kulturelle Erlebnisse auch für Menschen, die nicht über die Möglichkeiten für einen Konzertbesuch verfügen oder ihn sonst nicht Erwägung gezogen hätten. Aus demselben Grund habe ich mich zum Beispiel auch immer für den kostenlosen Eintritt in die die Parkanlagen des Weltkulturerbes eingesetzt und halte Angebote wie Kultür und Kidskultür auch künftig für wichtig.
6. Stadt und Geschichte
Der Umbau der Potsdamer Mitte ist von heftigen Kontroversen begleitet und hat zur deutlichen Polarisierung der Stadtgesellschaft geführt. An der Oberfläche kreist der Streit um einige markante Gebäude (z. B. Fachhochschule, Hotel, Mercure, Garnisonkirche), im Wesen greift er aber tiefer und berührt den Umgang mit Ressourcen, Geschichte und Zivilgesellschaft.
Was sind aus Ihrer Sicht Gründe für den stadtpolitischen Streit?
Welche Zukunft sehen Sie für die zwei verbliebenen Bauten der Nachkriegsmoderne in der Potsdamer Innenstadt, dem Wohnhaus am nunmehr ehemaligen Staudenhof und dem ehemaligen Terrassenrestaurant „Minsk“?
Wie stellen Sie sich die Entwicklung des historischen Ortes Garnisonkirche vor?
Sie stellen Ihren Fragen Thesen voraus. An dieser Stelle nehme ich das auch für meine Antwort in Anspruch. Dass der Umbau der Potsdamer Mitte „die Stadtgesellschaft deutlich polarisiert“, sagen Sie. In den jährlichen Bürgerumfrage der Stadt LEBEN IN POTSDAM, akribisch repräsentativ durchgeführt, spiegelt sich das nicht. Die Potsdamerinnen und Potsdamer empfinden den Verkehr in unserer Stadt als Problem, 40% der Befragten, und das Wohnen, 18%. Die Potsdamer Mitte nennen 3%. Trau keiner Statistik die du nicht selbst gefälscht hast, sagt man gern. Doch diese jährlichen Umfragen sind handwerklich solide gemacht und wissenschaftlich anerkannt.
https://www.potsdam.de/sites/default/files/documents/stat_info_4_2017_bu_2017.pdf ,S. 27.
Der Streit spaltet aus meiner Sicht nicht die Stadtgesellschaft, aber es gibt ihn, natürlich. Gründe sehe ich im Generationenwechsel. Die ersten Streiter für einen Stadtumbau hin zu Potsdams alter historischer Mitte waren 1989/90 in ihren so genannten besten Jahren und auch geprägt vom Einsatz für die historische Potsdamer Bausustanz zu DDR-Zeiten. Heute sind die Kinder von damals in den besten Jahren. Und viele sagen oder denken sich: Das, was i h r nicht mehr wolltet, ist m e i n Potsdam gewesen, meine Kindheit, meine Prägung. Ich war auf dem Weihnachtsmarkt, wo jetzt der Alte Markt ist, ich saß auf den Treppen der FH, und ich habe im alten Bad schwimmen gelernt. Auch das war meine Stadt, kein Wegwerfmodell, und gehört dazu.
Ich muss diese Position nicht teilen, aber ich akzeptiere sie. Denn ich kenne als Potsdamer Junge natürlich dieses Gefühl. Achtung vor der anderen Position und vor den Lebenswegen der ab 1960 Geborenen hilft in diesem Streit.
Zu Staudenhof und Minsk: Für den Staudenhof gilt ein Moratorium bis 2022. Er steht jetzt nach Abriss der alten Fachhochschule als Solitär am Rand des Alten Marktes. Dort schreitet die Bebauung fort. Ob er stehen bleibt oder ob anderer günstiger Wohnraum an der Stelle kommt, entscheiden wir mit der ProPotsdam bis 2022.
Beim Minsk geht es mir nicht so sehr um das Haus, sondern um den Brauhausberg. Ich finde, und das habe ich schon gesagt, die Diskussion um das ganze Areal zu geldzentriert. Die Stadtwerke verkaufen zum Höchstpreis und nicht nach Konzept. Immerhin geht es beim Brauhausberg um den Eingangsbereich zur Stadt, und wir wissen nicht wirklich, wie die Entwürfe dafür aussehen und was für ein Quartier das wird. Wenn die Stadtverordneten entscheiden sollten im September, dass das das Minsk stehen bleibt, dann nur mit einer öffentlichen Nutzung.Wenn nicht, ist eine Festschreibung von einer Sozialwohnungsquote für den Berg das Mindeste.
Garnisonkirche:
Mindestens bis Ende 2023 werden der Turmbau und dann der Turm der Garnisonkirche und das Rechenzentrum als Raum für die Potsdamer Kreativwirtschaft nebeneinander existieren.
Welche Rolle soll ein zukünftiger Oberbürgermeister im Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern des Wiederaufbaus der Garnisonkirche einnehmen? Ich will mit beiden Seiten Gespräche darüber führen, wie der Garnisonkirchturm ein Ort wird, wo unmissverständlich deutlich wird, dass wir aus der wechselhaften Geschichte gelernt haben. Zu den Gesprächen würde ich noch in 2018 einladen, um bereits für das Jahr 2020, in dem sich das Ende des 2. Weltkrieges und die Bombardierung von Potsdam zum 75. Mal jährt, eine gemeinsame Form des Erinnerns und Gedenkens zu finden. Dass das auch der wissenschaftliche Beirat der Garnisonkirche so sieht, der gerade vorgestellt wurde, freut mich. Und auch, dass Professor Nolte als Vorsitzender des Beirats zur Frage nach dem Kirchenschiff meint, dass er das nicht in Vordergrund rücken würde jetzt und es erst einmal um den Turm geht. Das sehe ich genauso.
7. Rechenzentrum und Kultur‐ und Kreativwirtschaft
Das Rechenzentrum wird seit 2015 als Kunst‐ und Kreativhaus zwischengenutzt und hat in dieser Funktion über Potsdam hinaus Bekanntheit erlangt. Es soll 2023 abgerissen werden, obwohl eine Sanierung möglich ist und nachhaltiger wäre, als die Errichtung eines Ersatzgebäudes. Nach jetzigem Planungsstand wird der Neubau im Bereich der alten Feuerwache erhebliche Einschränkungen für die Kultur‐ und Kreativwirtschaft mit sich bringen: Er wird weniger Raumfläche bieten, soll nur auf bestimmte Branchen fokussiert sein und lässt Mietpreise erwarten, die viele der jetzigen Nutzer des Rechenzentrums nicht bedienen können.
Wie stehen Sie zum geplanten Abriss des Rechenzentrums?
Welche Forderungen haben Sie an Lage, Gestaltung, Nutzung des geplanten Ersatzbaus?
Auch hier möchte ich Ihren Thesen widersprechen: Ob eine Sanierung mit gleichem Nutzen und ähnlichen Kosten möglich und nachhaltig wäre werde ich jetzt nicht problematisieren. Dass Sie das Ergebnis des Szenarioworkshops „Strategie für ein Kultur und Kreativzentrum in Potsdams Mitte“ diskreditieren möchte ich jedoch nicht so stehen lassen. 25 Leute haben sich drei volle Tage konstruktiv Gedanken und einen demokratischen, deutlichen Mehrheitsvorschlag gemacht. Dabei waren nicht nur Verwaltung, Sanierungsträger, Politik und Stiftung Garnisonkirche, sondern als stärkste Gruppe 10 Nutzerinnen und Nutzer des Rechenzentrums, die anerkannterweise das Haus vertreten haben. Sie haben nicht, so denke ich, „erhebliche Einschränkungen“ im Modell gesehen, sondern erhebliche Chancen. Sonst hätten sie es nicht präferiert.
Im Juni haben die Stadverordneten den Weg beschlossen, der die Ergebnisse dieses Arbeitsprozesses wiederspiegelt. Der zukünftige Standort soll durch eine städtebaulich aufeinander abgestimmte Mischung aus Kunst- und Kreativwirtschaft, Gastronomie und Wohnen geprägt werden, auf 20.000 m² Bruttogeschossfläche, davon mindestens 10.000 m² für die Kreativen. Es wird eine gemeinwohlorientierte Immobilienentwicklung geben, zum Beispiel mit einer Stiftung. Und es wird eine Rechtsform gefunden, die die dauerhafte Sicherung des Standortes für die Kunst- und Kreativwirtschaft garantiert. Alle Details kann man im Beschluss zum KREATIV QUARTIER³ nachlesen. Die Stiftung Garnisonkirche hat daraufhin der Nutzungsverlängerung für das Rechenzentrum um 5 Jahre zugestimmt. Mit dieser Richtung bin ich sehr zufrieden.
Zur Frage nach dem Abriss des Rechenzentrums verweise ich auf meine Antwort zur Garnisonkirche: Jetzt wird erst einmal der Kirchturm gebaut. Was danach kommt, wird man sehen. Das Kirchenschiff ist gerade keine aktuelle Frage.
8. Wohnen
Die Landeshauptstadt Potsdam beschloss 2014 ein Wohnungspolitisches Konzept, das eine Reihe von Handlungsfeldern und Maßnahmen enthält.
Was ist Ihre Einschätzung?
Welche der Maßnahmen waren bisher erfolgreich, welche nicht?
Wo sehen Sie Handlungsbedarf und welche Schwerpunkte muss sich die Landeshauptstadt Potsdam in der Wohnungspolitik setzen?
Persönlich freut es mich, dass es inzwischen selbstverständlich ist, Immobilieninvestoren an den sozialen Kosten des Wachstums zu beteiligen. Investoren müssen sich an den Kosten für Kita, Schule und Wohnumfeld beteiligen und profitieren nicht nur vom Bauboom. Ein Beitrag zur Haushaltsentlastung mit sozialdemokratischer Handschrift.
Bauen, Bauen, Bauen allein ist keine Strategie. Denn obwohl seit Jahren in Potsdam viel neuer Wohnraum errichtet wurde, ist der Markt knapp und die Mieten steigen. Laut Mietpreisspiegel ist die Miete für eine 60 qm Wohnung von 6,70 Euro im Jahr 2011 auf 9,64 im Jahr 2017 gestiegen. Trotz verstärkter Anstrengungen im Wohnungsbau und vielen neuen Wohnungen. Wir brauchen also neben Wachstum eine Strategie um sozialen Wohnungsbau zu unterstützen. Eine Strategie für den sozialen Wohnungsbau muss an mehreren Punkten ansetzen:
1. Neue Bauflächen in städtischer Hand
In Potsdam sind Flächen knapp. Wir brauchen aber Flächen, die von der der Stadt nicht erst teuer angekauft werden müssen, das treibt die Mieten hoch. Verkehrsflächen zum Beispiel (Parkplätze) befinden sich in öffentlicher Hand. Oben wohnen unten parken, ist ein Modell, mit dem andere Städte bereits Verkehrsflächen für sozialen Wohnungsbau überbauen. Ein Beispiel ist das Projekt am Münchner Dantebad. Diese Möglichkeiten sollten wir zumindest ernsthaft prüfen.
2. Baukosten, die verträgliche Mieten ermöglichen
Individualität beim Bauen ist schön, hat aber ihren Preis. Wir müssen in der Weltkulturerbestadt Potsdam beides im Auge haben, Gestaltung und kostengünstiges Bauen. Wenn Fassaden unterschiedlich gestaltet werden, aber zum Beispiel gleiche Wohnungsgrundrisse genutzt werden, um Planungskosten und Vorfertigung zu nutzen, spart das Kosten. Auch hier lohnt sich der Erfahrungsaustausch mit anderen Städten.
3. Kostenlose Übertragung von Flächen
Die Stadt verfügt noch immer über Rand- und Splitterflächen, die an Grundstücke der ProPotsdam und der Genossenschaften grenzen. Diese sollten verifiziert und mit der Auflage, sie für sozialen Wohnungsbau zu nutzen, kostenlos an ProPotsdam und Genossenschaften übertragen werden.
4. Konzepte fördern, die sozialen Wohnraum ermöglichen
So wie es auch das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Mieten des Bundesbauministeriums empfiehlt, sollten wir in Potsdam Grundstücke der Stadt hauptsächlich im Rahmen von Vergaben nach Konzeptqualität und nicht nach Höchstbieterverfahren abgeben. So können Projekte mit einem höheren Anteil an sozialem Wohnungsbau bevorzugt werden.
5. Vorgaben, damit sich private Bauherren am sozialen Wohnungsbau beteiligen
Ich bin überzeugt davon, dass sich ein Blick über den Tellerrand in der Kommunalpolitik immer lohnt. Das „Potsdamer Baulandmodell“ ist dafür das beste Beispiel. Ohne das „Abkupfern“ der Idee, so wie in München oder Leipzig Bauherren an den Investitionskosten zu beteiligen, hätten wir bis Ende 2016 nicht in fünf Bebauungsplanverfahren 1,964 Millionen Euro für den Ausbau der sozialen Infrastruktur im Wohnumfeld sichern können. Im Rahmen des Baugesetzbuches müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, um Verpflichtungen für den sozialen Wohnungsbau zu erreichen.
6. Vorhandene Infrastrukturen nutzen
Dort zu bauen, wo soziale Infrastruktur bereits da ist, spart nicht nur Geld, es ist auch ökologisch sinnvoll und kann beitragen, sozialen Wohnraum zu schaffen. Wenn die Stadt ein Teil der Kosten, die dem kommunalen Haushalt als Infrastrukturkosten bei einem neuen Baugebiet entstehen würden beziffern und stattdessen für die Sicherung von Mietpreis und Belegungsbindungen nutzen, könnten damit günstige Mieten erreicht werden. Und wer im Bestand baut, kann das gleichzeitig nutzen um vorhandene Gebiete aufzuwerten. Zum Beispiel können bei behutsamen und für das Stadtbild verträglichen Aufstockung von Wohngebäuden gleichzeitig Aufzüge eingebaut werden. Das verbessert die Barrierefreiheit und damit z.B. auch die Wohnqualität für ältere Menschen und Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung. Gute Beispiele gibt es bereits am Schlaatz und in der Waldstadt. Gerade einige Genossenschaften nutzen diese Variante zur Erweiterung ihres Bestandes.
7. Fördermittel von Bund und Land einwerben
Sozialen Wohnungsbau wird es nur mit Anreizen geben. Deswegen ist es wichtig, die gesamte Stadt zum Fördergebiet für den öffentlich geförderten Wohnraum zu machen. Dazu sind weitere Gespräche mit dem Land nötig, bei denen auch die Unterstützung unserer Potsdamer Landtagsabgeordneten nötig ist. Wir müssen auf die Sondersituation des Berliner Umlands und von Potsdam bei der Wohnraumschaffung immer wieder klar hinweisen. Der ProPotsdam als städtisches Unternehmen kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Nur wenn wir als Stadt selbst sozialen Wohnraum schaffen, sind wir auch glaubwürdig, wenn wir Forderungen an andere haben. Deswegen ist es zwingend nötig, dass die ProPotsdam weiter in den Neubau investiert. Dabei muss die Stadtverwaltung mit zügigen Planungs- und Genehmigungsverfahren ihren Beitrag leisten.
8. Keine Privatisierung im großen Stil
Die Privatisierung von größeren kommunalen Wohnungsbeständen muss in Potsdam auch weiterhin ausgeschlossen bleiben. Aber dort, wo Menschen sich gemeinsam Eigentum zur Selbstnutzung schaffen oder zum Beispiel ein genossenschaftliches Wohnmodell realisieren, sollten wir ernsthaft prüfen, wie wir solche Konzepte im Einzelnen unterstützen können. Es war eine richtige Entscheidung, die letzten Restitutionsobjekte nicht weiter zu verkaufen, sondern zu beginnen, die Objekte in Absprache mit den Mieterinnen und Mietern zu sanieren. Ansonsten sind Konzeptvergaben, bei denen die Errichtung von bezahlbarem Wohnraum unterstützt wird und das Potsdamer Baulandmodell, also die Vorgabe eines Anteils an bezahlbarem Wohnraum mit Belegungsbindung der richtige Weg, um Ausgleich zwischen Privat(isierung) und sozial gerechtem Wohnen zu schaffen.